Rund 300 Teilnehmende aus den Mitgliedern des Verbands der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Rheinland Westfalen (VdW) und weiteren Partnern diskutierten am 6. und 7. Juni 2023 in Düsseldorf darüber, wie sie einen Beitrag dazu leisten können, dass das Wohnen für künftige Generationen klimaneutral wird und gleichzeitig bezahlbar bleibt. Dazu gab es intensive wohnungspolitische Debatten, sowohl auf dem Podium als auch im Publikum. Fünf Workshops sorgten für den Transfer der frischen Eindrücke aus den Gesprächen und den Keynotes in die Praxis.
Vom Ziel gedacht: Klimaneutral bis 2045
Wenn es nach Plan läuft, wird Elena Schreiter, wenn sie 43 Jahre alt ist, klimaneutral wohnen. Klimaneutralität bis 2045 lautet das Ziel der Bundesregierung. Doch leider ist der Plan dorthin noch nicht ganz klar, wie auch der heute 21-Jährigen auf dem VdW-Forum Wohnungswirtschaft 2023 in Düsseldorf bewusst wurde. Schreiter ist gemeinsam mit fünf weiteren Auszubildenden zum VdW-Forum eingeladen worden, als Anerkennung für ihre Mitarbeit auf Berufsorientierungsmessen. Und unvermittelt stellen die sechs jungen Menschen fest: Auf dem VdW-Forum ging es genau um sie, um ihre Generation und die nachfolgenden. Wie erreicht man den klimaneutralen Wohnungsbestand? Wie bleiben die Wohnkosten dabei bezahlbar und wie werden die Wohnquartiere auch in Zukunft lebenswert – also auch barrierefrei und generationengerecht.
Neben Keynotes und Diskussionsrunden sind es vor allem die Workshops mit starkem Praxisbezug, welche die Attraktivität des „Forums“ ausmachten. So wurde in einem Workshop über kommunale Wärmeplanung und eine nachhaltige Wärmeversorgung von Wohnquartieren gesprochen, in einem anderen ging es um nachhaltiges Bauen und die Frage, ob auf den Abriss von Gebäuden grundsätzlich verzichtet werden sollte. Der CO2-Bilanzierung, die am Anfang jeder Klimastrategie von Wohnungsunternehmen und -genossenschaften stehen muss, ist ein weiterer Workshop gewidmet. Ganz konkret konnten die Besucherinnen und Besucher der Workshops zu allen Themen ihr Wissen erweitern, miteinander teilen und in die VdW-Mitgliedsunternehmen und -genossenschaften mitnehmen. Die Workshop-Räume waren voll, das Interesse groß.
Workshops: Impulse für die wohnungswirtschaftliche Praxis
Elena Schreiter entschied sich für den Raum, der den Workshop „Modernisierung und Umnutzung im Quartier – Wie Qualitäten im Bestand entwickelt werden“ beherbergt. Hier berichteten Fachleute aus der Praxis von der Umsetzung komplexer Quartiersprojekte, die gleich mehrere Herausforderungen adressieren. So etwa Carsten Gröning, Fachbereichsleiter Zentrale Quartiersentwicklung der VIVAWEST, über das Dortmunder Wohnquartier „Bergmannsgrün“. Soziale, bauliche, kommunikative und wissenschaftliche Aspekte der Quartiersentwicklung greifen bei dem Ansatz des Gelsenkirchener Wohnungsunternehmens in diesem Quartier ineinander. Eine modellhafte Quartiersentwicklung, die auch gestandene Entscheiderinnen und Entscheider mit starkem Interesse verfolgen, wie der Applaus beweist.
Im Raum, in dem das Innovationslabor untergebracht ist, werden unter anderem Systeme mit künstlicher Intelligenz, Dämmstoffe aus Recycling-Stoffen und Dach- und Fassadenbegrünungssysteme ausgestellt. All diese Innovationen können dabei helfen, das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen. Doch der wesentliche Hebel liegt, wie die inhaltliche Diskussion auf VdW-Forum zeigt, in der der Wärmeversorgung von Gebäuden. Im Plenum fordert etwa Dr. Andreas Hollstein vom VKU - Verband kommunaler Unternehmen e.V. Partnerschaften vor Ort zwischen Stadtwerken und der sozial orientierten Wohnungswirtschaft, die vorangehen und nicht darauf warten, dass irgendwann Gesetze kommen.
Die Teilnehmenden des VdW-Forum Wohnungswirtschaft 2023 hatten die Wahl zwischen den folgenden fünf praxisnahen Workshops:
- Workshop 1: Innovationslabor – Neue Technologien für die Wohnungswirtschaft erleben
- Workshop 2: Effizient und klimaneutral – Kommunale Wärmeplanung & nachhaltige Wärmeversorgung im Quartier
- Workshop 3: Modernisierung und Umnutzung im Quartier – Wie Qualitäten im Bestand entwickelt werden
- Workshop 4: Nachhaltiges Bauen – Brauchen wir neue Ansätze?
- Workshop 5: CO2-Bilanzierung, Klimastrategie und EU-Regulierung
Wärmepumpe ohne Wärmeplanung? Fehlende Planbarkeit bei hoher Regulierung
Im Plenum des VdW-Forums Wohnungswirtschaft 2023 wurde für die teilnehmenden Verbandsmitglieder, Gäste und Partner nach den ersten Impulsen und der Workshop-Phase vor allem eines deutlich: Die Politik schafft derzeit keine verlässlichen Rahmenbedingungen, die aber für langfristige Investitionsentscheidungen in die Wärmeversorgung von Gebäuden notwendig sind. „Wir brauchen Sicherheit in der Planung!“ fordert deshalb VdW-Verbandspräsidentin Marion Sett. „Aber es herrscht einfach keine Sicherheit.“
Die Diskussion um die Klimaneutralität geht allerdings über die Energieversorgung hinaus. Denn, wie Luise von Zimmermann, Product Owner/Business Development Manager von Concular, hervorhebt, geht die Hälfte des CO2-Ausstoßes im Gebäudebereich nicht auf den Betrieb, sondern auf den Bau der Gebäude zurück. Das Unternehmen Concular nimmt Bauteile aus alten Gebäuden heraus und führt sie einer Wiederverwendung zu. Die gebaute Umwelt ist für das Unternehmen im Sinne des zirkulären Bauens ein Bauteillager. Doch von Zimmermann weiß auch: „Der Kiosk der einfachen Antworten hat geschlossen.“
Eine Bauförderung an das Erlangen eines Zertifikats zu koppeln, sei jedenfalls eine falsche Antwort, sagt VdW-Verbandsdirektor Alexander Rychter, nachdem Moderator Michael Fabricius darauf hingewiesen hat, dass sobald der KfW-40-Standard im Neubau zur Pflicht gemacht wird, eine Bundesförderung nur noch mit Zertifikat möglich sei. Die politischen Rahmenbedingungen, insbesondere in der Förderung würden derzeit alle paar Monate geändert, gestand auch Ralf Pimiskern, Abteilungsleiter Zertifizierung bei der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB), ein.
In der anschließenden Debatte zwischen VdW-Verbandsdirektor Alexander Rychter, Ralf Pimiskern und Holger Gassner führte Moderator Michael Fabricius pointiert durch die aktuellen Leitlinien der wohnungspolitischen Debatte: Welche Größenordnungen sind wirklich realistisch bei der Umsetzung der Klimaneutralität bis 2045, auch mit Blick auf die gebauten Wohnungsbestände der vergangenen Jahrzehnte und Jahrhunderte? Zielkonflikt Material-Recycling und grüne Energieerzeugung: Wenn ein bestehendes Gebäude vom Versorger mit 100% Ökostrom und Ökowärme beliefert wird – wozu braucht es dann noch Zertifikate? Wie erreicht man die anvisierte CO2-Reduktion bis 2030, und wie geht es dann weiter?
Fragt man Katja Berlin, ZEIT-Kolumnistin und Vortragende am zweiten Veranstaltungstag – dann wird die zunehmende Radikalität der Klimakrise die eine oder andere radikale Idee schnell in den Schatten stellen – oder eben radikal neue Ansätze hervorbringen. In ihrem gesellschaftspolitischen Exkurs, den sie mit einem Augenzwinkern durch ihre „Torten der Wahrheit“ servierte, hielt sie dem Publikum den Spiegel vor. Ob Corona oder eben Klimaschutz, alle Krisen und Herausforderungen durchlaufen auch immer einen gesellschaftlichen Prozess – der bisweilen schmerzhaft verläuft, bis eine Lösung gefunden wird. Sie wünscht sich „Fortschritt ohne Krise im Nacken“.
Dem kann sich die Auszubildende Elena Schreiter stellvertretend für die junge Generation sicherlich anschließen. Festzuhalten ist: Es wird noch ein langer Weg, bis sie klimaneutral wohnen kann – auch wenn die Zeit kurz ist. Ihr 43. Geburtstag ist in 22 Jahren.
Der Verband bedankt sich bei allen Gästen und Partnern für die Teilnahme am jährlich stattfindenden VdW-Forum Wohnungswirtschaft 2023 und richtet den Blick bereits auf die nächste Großveranstaltung: Am 30. und 31. August 2023 findet der VdW-Verbandstag in Duisburg statt und freut sich auf rege Teilnahme. Weitere Informationen folgen per Rundschreiben an die Mitgliedsunternehmen und -genossenschaften sowie über die Kommunikationskanäle des Verbands.
Bilder: Roland Baege / VdW Rheinland Westfalen