Mit Energiesprong hat seit dem vergangenen Jahr ein ursprünglich aus den Niederlanden stammendes Sanierungskonzept auch in Deutschland Verbreitung gefunden – wo sehen Sie den Entwicklungsstand dieser Idee hierzulande?
Mit einer Reihe fertig gestellter Pilotvorhaben hat die Energiesprong-Idee im letzten Jahr einen enormen Entwicklungsschub erhalten. Nachdem 2021 ein erstes NetZero-Mehrfamilienhaus – ein zweigeschossiger 30er Jahre Bau in Hameln – fertig gestellt wurde, konnten inzwischen sechs weitere Projekte abgeschlossen werden. Dazu kommen rund 65 Projekte mit 4.200 Wohneinheiten, die aktuell im Bau, vertraglich vereinbart oder in Planung und Vorbereitung sind. Damit steht den Unternehmen ein wertvoller erster Erfahrungsschatz zur Verfügung, der für eine steile Lernkurve sorgt: manch ein Technikansatz wurde verworfen oder angepasst, Abläufe in der Planung und auf der Baustelle weiter digitalisiert und verbessert sowie zusätzliche Vorkehrungen getroffen, um die Belastungen der Mietenden gering zu halten.
Mit diesen ersten Projekten sind wir einen großen Schritt vorangekommen, um Gebäudesanierung einfach, schnell, bezahlbar und gut zu machen. Die Energiesprong-Idee wächst in Deutschland allmählich aus der Pilotphase heraus. Nach vielen Einzelobjekten entstehen jetzt die ersten kleinen Gebäudeserien, Wohnungsunternehmen analysieren mit dem Energiesprong-Team der dena ihre Bestände und suchen Quartiere aus, die optimal für das serielle Sanieren geeignet sind. In Erlangen sollen in den nächsten Jahren sogar insgesamt 6.000 Wohneinheiten der Gewobau seriell saniert werden.
Was ist aus Ihrer Sicht noch nötig, um die serielle Sanierung tatsächlich „in Serie“ zu bekommen und kann die serielle Sanierung zukünftig die “klassische“ energetische Sanierung komplett ablösen?
Bis zu einem Standardprodukt, das nicht nur mit einer Reihe von Vorteilen überzeugt (Sanierungsgeschwindigkeit, Bauqualität, Hocheffizienzstandard, Optik etc.), sondern auch in der Breite des Mehrfamilienhausbestands kostengünstig und einfach umgesetzt werden kann, liegt noch ein Stück des Weges vor uns – schließlich reden wir über eine Innovation, die eine Reihe von Abläufen in Bau- und Wohnungswirtschaft umkrempelt. Damit wir da schnell hinkommen und eine praxisnahe Antwort auf die MEPS (Minimum Energy Performance Standards) der EU und die nationalen Anforderungen an Erneuerbare Energien beim Heizungsaustausch (mind. 65% Erneuerbare Energien) ab 2024 haben, brauchen wir jetzt vor allem Masse. Erst, wenn tausende oder gar zigtausende Wohneinheiten pro Jahr seriell saniert werden, lohnen sich Gigafabriken für die Produktion vorgefertigter Fassaden-, Dach- und Energiemodule zur Wärmeversorgung. Derzeit sehen wir seitens der Bauwirtschaft eine große Bereitschaft, in neue Ansätze zu investieren – auch durch die Schwäche beim Neubau. Erste Großfabriken, die nicht nur für den Neubau, sondern auch die Sanierung genutzt werden, gehen bald an den Start. Entscheidend für die Geschwindigkeit, mit der Bauunternehmen die weitere Entwicklung vorantreiben und neue Lösungsbausteine (z.B. für Aufstockung, Bäder, soziales Wohnen oder noch höhere Nachhaltigkeit) hinzufügen, ist die Bereitschaft der Wohnungsunternehmen, jetzt beherzt in die serielle Sanierung zu investieren.
Die Voraussetzungen dafür sind gerade sehr gut. Mit dem neuen KfW-Förderbonus für serielles Sanieren innerhalb der BEG (Bundesförderung für Effiziente Gebäude) unterstützt die Bundesregierung Wohnungsunternehmen beim Einstieg in das serielle Sanieren und macht es finanziell besonders attraktiv: Durch den zusätzlichen Tilgungszuschuss von 15% können Wohnungsunternehmen insgesamt 35 bis 40 Prozent Investitionsförderung zzgl. einem sehr zinsgünstigen Kredit erhalten – sofern sie ein Effizienzhaus 55 oder 40 mit Erneuerbaren Energie in serieller Sanierungsweise umsetzen. Handelt es sich dabei um ein Gebäude mit besonders schlechter Energieeffizienz, also ein Worst Performing Building, steigt die Förderung auf bis zu 40 bzw. 45 Prozent. Ein weiterer Fördertopf steht beim BAFA zur Verfügung: Hier wird über die Bundesförderung Serielle Sanierung unter anderem eine erste Machbarkeitsstudie mit 60 Prozent gefördert, in der Bauunternehmen ein erstes Konzept planen und i.d.R. indikative Preise ermitteln. Weitere Fördermöglichkeiten gibt es zudem über regionale Förderprogramme wie zum Beispiel die Wohnraumförderung des Landes NRW. Erste Sanierungsprojekte sind damit bereits an der Schwelle der Wirtschaftlichkeit und werden ohne oder nur mit geringen Warmmieterhöhungen umgesetzt. Und mit jedem Projekt kommen wir der Breitenmarktlösung näher.
Neben der Förderung werden Wohnungsunternehmen auch durch unser Marktentwicklungsteam unterstützt: Im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) begleiten wir sie von der Portfolioanalyse über die Antragsstellung und Partnerfindung bis zum Bau und dem Monitoring kostenlos bei allen Fragen. Jetzt ist also der richtige Moment, loszulegen. Es gibt jetzt keinen Grund mehr, noch zu warten!
Komplett ablösen wird das serielle Sanieren die konventionelle Sanierung trotzdem nicht. Der deutsche Gebäudebestand bietet so vielseitige Gebäude und Herausforderungen, dass nicht alles standardisierbar ist. Bei weiteren Kostensenkungen und einer Ausweitung der Baukastenlösungen werden zwar schrittwese mehr Gebäude oder auch Einzelbauteile wie Dächer seriell umsetzbar. Es wird jedoch immer Projekte oder zumindest Teile von Projekten geben, bei denen individuelle Konzepte für eine „klassische“ energetische Sanierung erarbeitet und mit der besten Handwerkskunst auf der Baustelle umgesetzt werden müssen – wie z.B. bei Gründerzeitaltbauten.
Welche Wohngebäude und baulichen Strukturen eignen sich besonders gut für eine serielle Sanierung? Unter welchen Voraussetzungen wird es nach derzeitigem Stand hingegen kompliziert?
Derzeit konzentrieren sich die meisten Bauunternehmen auf den Mehrfamilienhausbestand der 50er und 60er Jahre – also Wohngebäude mit zwei bis vier Vollgeschossen und einfacher Gebäudegeometrie. Einzelne Unternehmen haben aber auch schon Erfahrungen mit höheren Gebäuden und manchen Besonderheiten gemacht. Vorteilhaft ist, wenn die Gebäude möglichst umlaufend über Platz für die Zufahrt sowie das Aufstellen und Anbringen von Baustelleneinrichtungen wie Gerüst und Kran verfügen, nicht unter Denkmalschutz stehen und möglichst kein Asbest enthalten. Eine geringe Verschattung des Dachs ermöglicht eine effiziente Nutzung von Fotovoltaik.
Welche Rolle spielen die Mitgliedsunternehmen und -genossenschaften des VdW Rheinland Westfalen bei der Erprobung und Verbreitung der seriellen Sanierung?
Ohne die Mitgliedsunternehmen und -genossenschaften des VdW RW, wie z.B. die Wohnungsbaugenossenschaft am Vorgebirgspark, die VBW Bochum, die Vonovia, die LEG oder die WWS Herford wäre das serielle Sanieren in Deutschland nicht dort, wo es jetzt ist. Die meisten Projekte in Deutschland liegen zwischen Köln und Herford mit einem besonderen Schwerpunkt im Ruhrgebiet. Das liegt zum einen daran, dass hier sicherlich ein gut geeigneter Gebäudebestand vorhanden ist. Wir haben hier aber auch eine besondere Offenheit der Wohnungsunternehmen für Neues erlebt, eine große Bereitschaft, einen gemeinsamen Entwicklungsweg zu gehen – auch, wenn am Anfang noch nicht alles optimal läuft. Eine wichtige Säule hierbei war auch das große Engagement des VdW RW, der z.B. durch eigene Veranstaltungen und Exkursionen, aber auch durch das Werben für eine bessere Förderung zur positiven Entwicklung in der Region und darüber hinaus beigetragen hat.
Um diese Dynamik zusätzlich zu fördern, haben wir mit dem Ökozentrum NRW unseren ersten Regionalpartner für die Marktentwicklung serieller Sanierungslösungen mit an Bord geholt. Als direkter Ansprechpartner informieren, begleiten und vernetzen sie ebenso Wohnungsunternehmen und Lösungsanbieter kostenlos vor Ort. Weitere regionale Akteure wie die Energieagentur Rheinland-Pfalz starten derzeit erste eigene Aktivitäten. Alles in allem sind das beste Voraussetzungen für die Mitgliedsunternehmen und -genossenschaften des VdW RW, jetzt serielle Sanierungen zu starten und als Region mit großer Strahlkraft voranzugehen.
Das Interview ist in der Ausgabe 03/2023 des VerbandsMagazins erschienen.